Lucy Weinert Stiftung
Stiftung des bürgerlichen Rechts, von und für Treburer Bürgerinnen und Bürger

Stifterin

Bis 1952 gab es in Trebur keine Apotheke. - Wer Medikamente benötigte musste deshalb nach Groß-Gerau oder Nauheim fahren. Nicht immer einfach, in einer Zeit wo der private PKW noch eine Seltenheit war. – Es war eine Frau, die dies änderte:
 

Lucy Weinert, ca. 1985

Lucy Weinert, geborene Hartwig, wurde am 28. August 1911 in Neustadt/Oberschlesien (heute Prudnik in Polen) geboren und kam als Vertriebene gemeinsam mit ihrer Schwester Margot nach Trebur.


Über Lucy Weinerts Lebenslauf vor Ihrer Zeit in Trebur ist so gut wie nichts bekannt. Sie machte zeitlebens wenig Aufheben um ihre Person. Ihre Schwester Margot ließ sich als Ärztin in Nauheim nieder und es gab wohl noch eine weitere Schwester und einen Bruder, der nach Amerika ausgewandert war.

Alte Rathausapotheke, 1958


Dass eine alleinstehende Frau ein Unternehmen gründet und es unabhängig führt, war in den fünfziger Jahren nicht alltäglich. Aber Lucy Weinert machte genau das und eröffnete am 11. Dezember 1952 die Rathaus Apotheke. Die Räumlichkeiten dafür fand sie am Wilhelm-Leuschner-Platz 4 gegenüber dem alten Rathaus - womit sich auch der Name der Apotheke erklärt.


Die Apotheke führte sie wie eine fürsorgliche Mutter und sie pflegte einen familiären Umgang mit Ihren Angestellten. So war es normal, dass sie neue Mitarbeiter bei der Wohnungssuche unterstütze und ihnen (mitunter auch auf eigene Kosten) zukommen ließ, woran es mangelte: Mal war es adäquate Kleidung, mal Einrichtungsgegenstände oder auch der Frisörbesuch für den apothekengerechten Männerhaarschnitt. In der Apotheke gab es für die Mitarbeiter morgens Frühstück und mittags etwas zum Kaffee. Heute ist das nicht mehr so unüblich, aber damals war das ein Novum.

Für Ihre Putz- und Zugehfrauen bezahlte sie die volle Rentenversicherung. Und, wenn es etwas zu feiern gab, lud sie immer auch die Partner und Familien Ihrer Mitarbeiter ein. Auch den Kindern Ihrer Angestellten und Kunden hat sie oft eine Kleinigkeit zugesteckt.


Bei all dem war Lucy Weinert aber auch eine tüchtige und gut organisierte Geschäftsfrau:

Bis in die 70er Jahre war es nicht unüblich, dass Ärzte die Rezepte direkt zur Apotheke schickten. Dort wurden die Medikamente zusammengestellt und dann den Patienten nach  Hause geliefert. Die Rathaus Apotheke versorgte so Patienten in Trebur, Astheim (wo Frau Weinert zeitweise auch an der Apotheke beteiligt war), nach Geinsheim und auf die Hessenaue. Ihre Angestellten bereiteten dies alles vor und sie selbst kontrollierte die korrekte Zusammenstellung der Lieferungen. Schließlich wurden die Medikamente mit einem eigenen Auto zu Verteilern in den einzelnen Orten ausgefahren und von diesen dort an die Patienten geliefert.

In finanziellen Dingen war Lucy Weinert sehr genau. „Klare Rechnung, gute Freundschaft“ war ihr Spruch. - Sie achtete auf Ihre Ausgaben und kam so zu ihrem Vermögen.


Neue Rathausapotheke, November 2022

Nach 16 Jahren in der Apotheke am Alten Rathaus erwarb Frau Weinert 1968 ein altes Bauernhaus an der Hauptstraße 40 und baute es in die jetzige Apotheke und das daneben liegende Wohnhaus um. In diesem Haus lebte sie bis zu Ihrem Tod.
Außerdem besaß sie ein weiteres Haus in der Nahestraße, dessen Wohnungen Sie unter anderem auch an bedürftige Mitbürger vermietete. Einmal hat sie das damit begründet, dass ihr als Flüchtling in Trebur geholfen wurde und sie deshalb anderen Menschen in schwierigen Situationen auch helfen wolle.


Ebenso gab sie Kunden mit begrenzten finanziellen Ressourcen mitunter Rabatt oder Produkte kostenfrei ab.
Aber über die direkte Hilfe hinaus, dachte sie auch weiter: Zum Beispiel bestand Lucy Weinert auch bei mittellosen Bewohnern ihres Hauses in der Nahestrasse auf langfristige Mietverträge, nicht wegen der Miete (auf welche sie ggf. ganz verzichtete oder diese reduzierte), sondern um sicherzustellen, dass im Falle ihres Ablebens diese Menschen nicht von Ihren Erben einfach auf die Straße gesetzt werden konnten.


So wurde Lucy Weinert im Laufe der Jahre eine hoch geachtete Person in Trebur und einfach nur „die Apotheker(i)n“ genannt. 
1980 übergab sie die Apotheke an Dr. Rödder, der seit 1954 zeitweise in der Apotheke mitarbeitete und dessen Ausbildung sie unterstützt hatte. Heute führt Jörg Rott die Apotheke.


Frau Weinert reiste gerne und unternahm oft mit ihrer Schwester organisierte Busreisen. Nachdem Margot Hartwig 1986 verstorben war, gingen Ihre Ausflüge öfter mit dem Taxi und in Begleitung ehemaliger Angestellter in die nähere und (zur Freude der Taxifahrer) mitunter auch weitere Umgebung.

Lucy Weinerts Grab

Lucy Weinert starb 83jährig am 9.Februar 1995 und ist, gemeinsam mit Ihrer Schwester auf dem Treburer Friedhof beigesetzt.

Den Wunsch etwas von der ihr anfänglich entgegengebrachten Hilfe zurückzugeben, hat sie auch in Ihr Testament einfließen lassen. Sie vermachte ein Teil ihres Erbes der Gemeinde Trebur mit dem Wunsch damit bedürftigen Treburern, unabhängig von deren Parteizugehörigkeit, Konfession und Nationalität, zu helfen. Aus diesem Vermögen und zu diesem Zweck errichtete die Gemeinde Trebur die Lucy Weinert Stiftung. Anfang des neuen Jahrtausends wurde eine Straße in Trebur nach Ihr benannt.


Zum Schluss noch einige Anekdoten:

  • Wer die Apotheke heute besucht, hat sich vielleicht schon einmal gewundert, weshalb vor dem Wohnhaus eine Konstruktion aus Doppel-T-Stahlträgern angebracht ist: Kurz nach dem Umbau ist in das Haus ein Linienbus gefahren. Um Solches zukünftig zu verhindern, ließ Lucy Weinert diesen Schutz anbringen.
  • Solange sie die Apotheke führte, hatte Frau Weinert eine Haushaltshilfe, die unter anderem auch mittags für sie gekocht hat.  Frau Weinert fuhr dann regelmäßig mit dem Essen nach Nauheim zu Ihrer Schwester. Angestellte, die in der Mittagspause nicht zum Essen nach Hause gehen konnten, nahm sie des Öfteren mit.
  • In ihren späten Jahren sah man sie häufig im Ort spazieren gehen, wobei sie auch oft am Sportplatz Rote Erde vorbeikam. Wenn es dort ein Fußballspiel gab, blieb Sie auch gerne stehen zu sah eine Weile zu. Da ihr langes Stehen aber immer schwerer fiel, stiftete sie zwei Sitzbänke, um es älteren Zuschauern etwas leichter zu machen. Leider gibt es diese Bänke heute nicht mehr…
  • In Trebur wohnte Lucy Weinert anfänglich in einem Eisenbahnwagen, der hinter der Lindenschule stand.
  • Lucy Weinert hatte eine Vorliebe für Einbauschränke: Überall wo noch ein bisschen Platz war, ließ sie diese zur Freude eines lokalen Schreiners einbauen.
  • Lucy Weinert war zweimal verheiratet.–Beide Male mit dem selben Mann…

 



Dieser Text basiert auf Berichten von: Ernst Erdmann, Johanna Gabel, Dr. Hans-Ulrich Kugies,
Irmgard Moritz, Rita & Helmut Neumann und Bodo Schneider-Schrimpf. 

Recherchen und Text von: Manfred Luley, Michael Viehl & Michael Gottwald für die Lucy Weinert Stiftung

Vielen Dank für Ihre Unterstützung auch an Herrn Wolfgang Kraft von der Gesellschaft Heimat und Geschichte Trebur e.V., Herrn Jörg Rott und an die Gemeinde Trebur.

  

Trebur, im November 2022